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Gregor Schneider   |   BERLIN   15.09.23 - 21.12.23

 

 

Gregor Schneider
Homeless

In 1986, Gregor Schneider began to build complete rooms that precisely replicate the rooms into which they were built in Haus u r, a modest, somewhat run-down house – Unterheydener Straße 12 – in the Rheydt district of Mönchengladbach, Germany. His work is thus akin to works by artists from Robert Smithson to Tacita Dean or from Gordon Matta-Clark to Absalon and Andrea Zittel, who take as their subjects specific places. Schneider’s interest is in rooms that are in the process of disappearing.

There’s no getting away from rooms. Schneider’s maxim finds its aesthetic equivalent in his strategy of duplicating or ‘doubling’ already existing rooms. Through their reproduction the rooms lose everything that might have been familiar about them. Schneider’s rooms bear the signs and tokens of petit bourgeois existence, and inside them the sense of abandonment is total. The abandonment of rooms from which there is no getting away is part and parcel of their fundamental designation, even if the water is running in the bathroom as if somebody were on the point of coming back. Since it was uncertain whether Schneider would continue to be able to use the Haus u r in future, he took out the reproduced rooms again, stored them in a hangar, installed them again in other places and once more constructed identical rooms – with the result that any orientation to a place outside the room in question is lost. He has Hannelore Reuen, his fellow resident in Unterheydener Straße, say that “He would like to lead a variety of lives in order to get out of the house. But he drags the house around with him wherever he goes. I don’t think he will ever get out of it.” With their characteristic irreversible abandonment the rooms hold us in thrall. In Schneider’s work the rooms embody a societal and historical power from which we cannot escape. This power makes it impossible for us ever to be at home.

Facing up to this power became an inescapable challenge when Schneider became aware of an already existing doubling in real life. In 2007, not far from the house at Unterheydener Straße 12, his Haus u r, he came across a very similar building at Odenkirchener Straße 202. This house was the birthplace of Joseph Goebbels, the later Minister of Propaganda in the German Nazi régime. Schneider began to search for traces of this past existence and made two videos, Essen [Eating] and Schlafen [Sleeping] in the Goebbels’ house, in which he identifies with the loathsome historical figure. Ultimately, however, he was able to extricate himself from the “spirit of Nazism” only by “pulverizing” the interior of the building and loading off the rubble onto a disposal site. Of Goebbels’s birthplace not much more remains than the cast of the doorbell panel realized in the form of a candle, to be lit and burn itself out (Unsubscribe, 2014).

For a long time Schneider has accompanied the affirmative doubling of rooms with questions as to the remaining presence of things past. I never throw anything away. Materials no longer needed, e.g. remnants of demolished built-in structures, are packed together to form sculptures (RS [Recycled sculpture], 1996–2023), shrink-wrapped, and set on palettes. This is taken even so far as to include left-overs from meals, which Schneider enclosed in gypsum brick in 1990. On the large scale, he has for decades confronted the destruction of villages and landscapes in his vicinity as they fall victim to the open-cast mining of lignite in the Rhineland. What remains of the disappeared villages? In an “amateur video” Schneider walks over a resulting wasteland and finds himself suddenly standing in front of a heap of earth containing human bones that come from a vacated graveyard (KNOCHENHÜGEL, [HILL OF BONES] Hofstraße, Alt-Otzenrath, 2008). A series of factual photographs shows the houses that were built for the resettled inhabitants of a disappeared village (GARZWEILER, 2008–2013). Finally, Schneider filmed the landscape that emerged after the end of lignite mining: a motorway in the distance draws the horizon of a dichotomized scene, above which the sun is going down in threateningly red and yellow hues (KUNSTLANDSCHAFT, [ARTISTIC LANDSCAPE] Tagebau Garzweiler, 2022), and beach umbrellas and sun-loungers – illuminated in synthetic colours after sundown – summon the audience to view the dystopia of the disappeared reality as a “Terra nova” (SONNIGER UNTERGANG [SUNNY DEMISE] Tagebau Hambach, 2022).

In his more recent works, Schneider has moved on from the affirmation of simultaneously abandoned and inescapable rooms to the recording of the post-apocalyptic reality of an artificial landscape. The exhibition title Homeless thus refers not only to the fact that Schneider’s disassembled rooms and his sculptures positioned on palettes lack any firm, established site of their own but above all to the fact that the devastation of villages and the countryside generates a “new territory” that makes any idea of being “at home” obsolete.

Ulrich Loock

translated by Richard Humphrey 


Gregor Schneider
Homeless

Gregor Schneider hat 1986 begonnen, vollständige Räume zu bauen, die die Räume genau reproduzieren, in die sie im Haus u r eingebaut wurden, einem bescheidenen, etwas heruntergekommenen Wohnhaus an der Unterheydener Straße 12 im Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt. So verbindet sich sein Werk mit Werken von Künstlern und Künstlerinnen von Robert Smithson bis Tacita Dean oder von Gordon Matta-Clark bis Absalon und Andrea Zittel, die einen bestimmten Ort zu ihrem Gegenstand machen. Schneider interessieren Räume, die sich im Stadium des Verschwindens befinden.  

Räumen können wir nicht entkommen. Dieser Aussage entspricht Schneider mit einer ästhetischen Strategie der Verdoppelung gegebener Räume. Durch ihre Reproduktion verlieren die Räume alles, was an ihnen vertraut gewesen sein mag. Schneiders Räume tragen die Zeichen kleinbürgerlicher Existenz und in ihnen ist die Verlassenheit total. Die Verlassenheit von Räumen, denen wir nicht entkommen können, gehört zu deren grundlegender Bestimmung, auch wenn im Badezimmer das Wasser läuft, als würde jemand gleich zurückkommen. Da es unsicher war, ob Schneider das Haus u r auch in Zukunft würde nutzen können, hat er die reproduzierten Räume wieder ausgebaut, in einer Halle gelagert, an anderen Orten erneut eingebaut und identische Räume ein zweites Mal gebaut, so dass jede Orientierung an einem Ort außerhalb des betreffenden Raumes verlorengeht. Die Mitbewohnerin in der Unterheydener Straße, Hannelore Reuen, lässt er sagen: „Er möchte verschiedene Leben führen, um aus dem Haus herauszukommen. Aber er schleppt das Haus überall mit hin. Ich glaube, er wird da nie rauskommen.“ Geprägt durch ihre unumkehrbare Verlassenheit, nehmen die Räume uns gefangen. Bei Schneider verkörpern die Räume eine gesellschaftliche und geschichtliche Macht, der wir uns nicht entziehen können. Sie macht es unmöglich, zu Hause zu sein.

Dieser Macht zu begegnen, wurde zur unausweichlichen Herausforderung, als Schneider auf eine real bereits bestehende Verdoppelung aufmerksam wurde. Nicht weit vom Haus an der Unterheydener Straße 12, seinem Haus u r, stieß er im Jahr 2007 an der Odenkirchener Straße 202 auf ein sehr ähnliches Gebäude. Dieses Haus war das Geburtshaus von Joseph Goebbels, dem späteren Propagandaminister des Naziregimes. Schneider begann nach Spuren dieser vergangenen Existenz zu suchen und machte zwei Videos, in denen er sich mit dem Unmenschen identifiziert, Essen und Schlafen. Schließlich aber wusste er sich gegen den „Geist des Nazismus“ nur zu helfen, indem er das Innere des Gebäudes „pulverisierte“ und den Schutt auf einer Deponie ablud. Vom Geburtshaus von Goebbels ist nicht viel mehr geblieben als der Abguss des Klingelbretts, realisiert als Kerze, zum Abbrennen (Unsubscribe, 2014).

Seit langem hat Schneider die affirmative Verdoppelung von Räumen mit Fragen nach verbleibender Anwesenheit des Vergangenen begleitet. Ich werfe nie etwas weg. Nicht mehr gebrauchte Materialien, z. B. Trümmer aus abgebrochenen Einbauten, werden zu Skulpturen zusammengepackt (RS [Recyclete Skulptur], 1996–2023), eingeschweißt und auf Paletten gesetzt. Das geht bis zu Essensresten, die Schneider 1990 in Gipssteine eingeschlossen hat. Im großen Maßstab begegnet er seit Jahrzehnten in der Nähe seines Wohnorts der Zerstörung von Dörfern und Landschaften, die dem Rheinischen Braunkohletagebau zum Opfer fallen. Was bleibt von den verschwundenen Dörfern? In einem „Amateurvideo“ geht Schneider über eine Brache und steht plötzlich vor einem Erdhaufen mit menschlichen Knochen, die von einem aufgelassenen Friedhof stammen (KNOCHENHÜGEL, Hofstraße, Alt-Otzenrath, 2008). Eine Serie von sachlichen Photographien zeigt die Häuser, die für die umgesiedelten Bewohner eines verschwundenen Dorfes errichtet wurden (GARZWEILER, 2008–2013). Schließlich hat Schneider die Landschaft gefilmt, die nach dem Abbau der Braunkohle entstanden ist: Eine Autobahn in der Ferne zieht den Horizont einer zweigeteilten Szene, über der die Sonne mit bedrohlich roten und gelben Farben untergeht (KUNSTLANDSCHAFT, Tagebau Garzweiler, 2022), und Sonnenschirme mit Liegestühlen, nach Sonnenuntergang mit synthetischen Farben beleuchtet, fordern dazu auf, die Dystopie der verschwundenen Wirklichkeit als „Terra nova“ zu betrachten (SONNIGER UNTERGANG, Tagebau Hambach, 2022).  

In seinen neueren Arbeiten ist Schneider von der Affirmation zugleich verlassener und unentrinnbarer Räume übergegangen zur Aufzeichnung der post-apokalyptischen Realität einer artifiziellen Landschaft. Der Ausstellungstitel Homeless bezieht sich dann nicht nur darauf, dass Schneiders ausgebauten Räumen und auf Paletten gesetzten Skulpturen der feste Ort fehlt, sondern vor allem auch darauf, dass die Verwüstung der Dörfer und der Landschaft ein „Neuland“ generiert, das jede Vorstellung einer „Heimat“ obsolet macht.

Ulrich Loock

 
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