Skip to main content

Magnus Plessen   |   DÜSSELDORF   09.11.18 - 12.01.19

 

 

Alles bricht auseinander. Die Mitte hält nicht mehr.
W. B. Yeats

In seinen neuen Leinwänden arbeitet Magnus Plessen weiter daran, mit Darstellungen des menschlichen Leibes ein Bild von Umständen und Bedingungen der Existenz zu entwerfen. Eine frühere Serie von Arbeiten exponierte in Form der Industrialisierung ihrer Körper die industrielle Zerstörung, der die Menschen im 1. Weltkrieg unterworfen waren. Mit prothetischen Panzerungen – in Ausdrücken der Malerei mit voreinander gesetzten Flächen und Übermalungen, verbretterter Leinwand und farbigen Ablagerungen – wurde ein funktionierender Körper rekonstruiert.

1914 war der Titel seiner Ausstellung von 2014 in der Konrad Fischer Galerie in Berlin. Mit dieser Jahreszahl zielte Plessen auf einen Zeitpunkt vor einhundert Jahren, den Beginn des 1. Weltkriegs. Der Titel der jetzigen Ausstellung in den Düsseldorfer Räumen der Galerie hingegen, 2118 , nennt ein Datum zweihundert Jahre nach Kriegsende und weist einhundert Jahre in die Zukunft.

Die meisten Formen der jetzigen Bilder sind lesbar, wenn auch nicht immer eindeutig. Es sind Formen, die Teile des Körpers übersetzen. Sie liegen auf der weißen Leinwand oder treten aus deren schwarzer, mit der Spachtel gezogenen Abdeckung hervor, doch sie sind nicht gemäß dem gewohnten, für natürlich gehaltenen Körperschema miteinander verbunden. Gegenüber früheren Bildern wurden die Verbindungen zwischen einzelnen Teilen gelockert oder aufgelöst, und sie sind durch andere, fremdartige und unerklärliche Beziehungen ersetzt worden. Manchmal gibt sich eine bildliche Logik für diese Zusammenstellungen zu erkennen, etwa wenn eine Sequenz von drei Köpfen an die musikalische Notation eines Akkords denken lässt, disparate Teile drehsymmetrisch um einen Mittelpunkt kreisen, die Figuration wie bei den Faltbildern für einen Rorschachtest entlang einer horizontalen Achse aufgeklappt ist oder Bildelemente den vier Seiten einer Leinwand folgen. Doch keine dieser Konstellationen ist zwingend; ein Zusammenhang tritt in einem bestimmten Bild auf und macht im nächsten Bild einem anderen Platz. Zusammenhänge sind irregulär und instabil; es sind momentane Stockungen im Verlauf flüchtiger Verhältnisse. Zusammen gesehen evozieren die Arbeiten in der Ausstellung einen Ablauf endloser Reorganisation, Umwandlung ohne Finalität.

Viel stärker als auch bei Arbeiten, die zu Beginn des Jahres 2018 entstanden sind, treten nun aus orange-rosafarbenen Schemen herausgewischte Formen erotisierten Fleisches hervor; wollte man diese Bilder einer etablierten Ikonographie zuordnen, müsste man sie „Der Tod und das Mädchen“ nennen. Die banale Schriftzeile weist darauf hin, wie Plessens entkörperter Körper zustande kommen: durch Schrecken und Begehren. Dabei gibt es Hinweise auf Prozesse in zwei einander entgegengesetzten Richtungen. Libidinöse Energie (Kathexis), etwas Obsessives, aber auch Volatiles treibt ein vorgegebenes Körperschema auseinander und bringt andererseits eine indifferente Oberfläche dazu, stellenweise körperhafte Konkretisierungen zu bilden. Existenzbedingungen, die Plessens neue Bilder aufrufen, sind die Mechanisierung des Körpers auf der einen Seite und seine algorithmische ?Optimierung auf der anderen. Auf diese Alternativen verweisen die Ausstellungstitel 1914 und 2118.

Die mit den Zahlen ausgeklammerte Gegenwart aber ist die Gegenwart der Bilder selber. Manche Teile korrespondieren miteinander, doch massive Größenunterschiede treiben andere auseinander. Im Einzelnen kommen verschiedene handwerkliche Praktiken zur Anwendung, die die Bildoberfläche zu einem körperlich variierten Territorium machen. Plessen hat die Farbe des Totenschädels mit weichem Papier aufgetupft und es hat sein Muster hinterlassen. Feuchte Farbe wurde mit einem Lappen weggerieben, um die Illusion einer gewölbten Hautoberfläche zu erzeugen. Mit der Spachtel wurde Farbe in waagerechten Strichlagen aufgetragen und dabei auch weggekratzt, um den Bildträger einschließlich des verdeckten Unterbaus abzubilden. Plessen besitzt eine umfangreiche Sammlung von Patritzen und Schablonen, die den gesamten Atelierboden bedecken. Um Anordnungen einzelner Teile der jeweiligen Figuration auszuprobieren, befestigt er die Kartonstücke mit Klebestreifen auf der Leinwand und übersetzt sie schließlich in umgrenzte Einheiten von Malerei.

In der Gegenwart einer malerischen, ungeplanten Praxis stürzen Erinnerung und Vorwissen ineinander, ohne klar und eindeutig voneinander unterschieden zu sein.


Ulrich Loock

-
 

Things fall apart ; the centre cannot hold
W. B. Yeats

On his new canvases, Magnus Plessen continues his endeavour of projecting circumstances and conditions of existence using representations of the human body. An earlier series of works displayed the industrial destruction to which humans were subjected in the First World War in the form of the industrialisation of their bodies. With prosthetic armouring— expressed in painterly terms by surfaces set in front of each other and overpainting, by a layer of paint doubling the canvas and coloured sediments—a functioning body was reconstructed.

1914 was the title of Plessen’s 2014 show at Konrad Fischer Galerie in Berlin, addressing a point in time one hundred years ago, the start of the First World War. By contrast, the title of the current exhibition in the gallery’s spaces in Düsseldorf, 2118 , designates a date two hundred years after the end of the war and one hundred years in the future.

Most of the forms in the new paintings are legible, albeit not always unambiguously. They are forms that translate parts of the body, which lie on the white canvas or protrude from its black ground applied with a palette knife, but they are not interconnected according to the customary body image the one deems natural. As opposed to earlier paintings, the connections between the individual parts have been loosened or dissolved, substituted by other, strange and inexplicable relations. A pictorial logic can occasionally be found in these assemblies, for example, when a sequence of three heads reminds one of the musical notation of a chord, when disparate parts circle around a centre in a rotationally symmetric fashion, when the figuration is opened up along a horizontal axis like the inkblots of a Rorschach test, or when pictorial elements follow the four sides of a canvas. Yet none of these constellations are compelling; a correlation emerging in one picture is replaced by another in the next. Cohesions are irregular and unstable; they are momentary stoppages in the course of liquid states. Viewed together, the works of the exhibition evoke a sequence of endless reorganization, transformation without finality.
Even more intensely than in his paintings from early 2018, smooth forms of eroticized flesh now emerge from orange and pink coloured patterns. If one were to attribute these paintings to an established iconography, one would have to call them ‘Death and the Maiden’. The banal inscription refers to how Plessen’s disembodied bodies originate: through horror and desire. There are indications of processes going in opposite directions. Libidinous energy (cathexis), something obsessive but also volatile, disperses a given body image, while on the other hand making an indifferent surface sporadically bulge to create bodily concretizations. The conditions of existence that Plessen’s new pictures evoke are the mechanization of the body, on the one side, and its algorithmic optimisation, on the other. The titles of the exhibitions, 1914 and 2118 , refer to these alternatives.

The presence bracketed out by the indication of these years, however, is the presence of the paintings themselves. Some parts correspond with each other, while others are driven apart ?by massive differences in size. Plessen applied various techniques that make the picture surface a corporeally varied territory. To dab the paint of the skull, he used soft paper, which left its pattern. Wet paint was wiped with a cloth to create the illusion of curved skin. Paint was applied in horizontal strokes and scraped off in one go with a palette knife to show the picture support including the concealed substructure. The artist possesses a large collection of patrixes and templates that cover the entire studio floor while he is working. He tapes the cardboard pieces to the canvas to try out arrangements of individual parts and in the end translates them into delineated units of painting.

In the presence of a painterly, unplanned praxis, memory and prescience collide, without being clearly distinguishable.


Ulrich Loock

 
<< back